Die Heimatzeitung |
WLZ
vom 24. Februar 1988 |
Geburtstag feiert er heute im
Krankenhaus, aber bald will er wieder mit seinem alten Traktor durch
die Stadt brausen:
Wildunger Original Schumanns
Maxe 80 Jahre alt
Von Werner Senzel
BAD
WILDUNGEN. Heute wird Schumanns Maxe 80 Jahre alt. „Diesen Tag“, so
sagt „Maxe“ bei meinem Besuch im Krankenhaus, „wollte ich eigentlich
mit meinen Freunden, den Segelfliegern, in der Halle auf dem Flugplatz
feiern, jetzt liege ich hier im Krankenhaus.“
So
kennt ihn jeder in Bad Wildungen: Ein tiefer Zug aus der Zigarette
gehört zu Schumanns Maxe dazu. (Foto: szl)
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Im
Bad Wildunger Stadtkrankenhaus wurde Max Schumann vor kurzem das
linke Bein oberhalb des Knies amputiert. Bei meinem Besuch sitzt er im
Rollstuhl vor seinem Bett in einem Einzelzimmer im „Kaiserhof“ und
kratzt mit einer Scheibe Brot die Butter aus einem Alufolien-Päckchen.
Seine sonnengebräunte lederne Haut ist einer fahlen Krankenhausblässe
gewichen, aber aufgegeben hat Schumanns Maxe keineswegs. „Das
linke Bein haben sie mir abgenommen, damit habe ich so manchen in den
Hintern getreten. Das kann ich halt in Zukunft nur noch im Geiste.“ In
den nächsten Tagen soll eine Prothese angepasst werden. „Wenn ich dann
bloß wieder humpeln kann, dann versorg’ ich wieder meine vier
Rindviecher“, sagt der 80-jährige Schumann und steckt sich eine
Zigarette an. Nein, sagt er sofort, das Rauchen werde er auch jetzt
nicht bleiben lassen.
Noch nie in seinem Leben sei er krank
gewesen, sagt Max Schumann, der am 24. Februar 1908 in Bad Wildungen
zur Welt kam. Seine Eltern, berichtet der Jubilar, seien keine
Landwirte gewesen. Das Elternhaus stand dort, wo heute die
Wäscherei Wahl steht, sein Vater war Bademeister im Schwimmbad und
stammte aus Magdeburg. Voller Lob ist Schumann über seine Mutter, die
aus einer armen Wildunger Familie stammte, „aber wirklich alles konnte,
und eine ganz prima Frau war“.
Max Schumann ging in Bad Wildungen zur Volksschule und absolvierte dann
eine Kochlehre. Nach 15-jähriger Berufsarbeit warf er den Kochlöffel
weg und schlug sich als Handlanger, Tellerwäscher, Waldarbeiter und
Nachtwächter durch: „Einmal“, so berichtet Schumann, „habe ich sogar
zwei Posten gleichzeitig gehabt“, und stolz fügt er hinzu: „Keiner hat
von den anderen gewusst oder etwas bemerkt. Durch mein Moped war ich
schnell und mobil.“ Am meisten ärgert er sich noch heute, dass er
damals 800 Mark Lohnsteuer bezahlen musste. |
Und in den Holzwald ist Maxe schon immer gerne gegangen. „Der liebe
Gott lässt doch die Bäume für uns alle wachsen.“ Schon als Kind ist er
mit einem Kuhfuhrwerk in den Wald zum Holzmachen gefahren. Und nach dem
Ersten Weltkrieg hat er einmal Dutzende von überlangen Lärchen mit nur
einer Kuh aus dem Wald geholt. Dafür hat er von einer holländischen
Schiffsbaugesellschaft den damals stolzen Preis von 200 Mark bekommen.
„Weil das außer mir gar keiner geschafft hätte!“
Viel weiß Max Schumann auch aus seiner Kriegszeit zu erzählen, die ihn
im Zweiten Weltkrieg dreimal in sowjetische Gefangenschaft gebracht
hat, aus der er dreimal geflohen ist. „Ich habe in sieben Jahren beim
Barras nicht einen Schritt Gleichschritt marschiert, das hat keiner mit
mir fertiggebracht. Wenn die gesagt haben links, hon ich rechts
gemacht.“ Und wenn der Ruf „Freiwillige vor“ ertönte, dann habe er
Platz gemacht, damit die Freiwilligen an ihm vorbei nach vorne treten
konnten. Und mehr als einmal hat sich Max Schumann selbst ins Lazarett
eingeliefert. „Die haben gar nicht gemerkt, dass ich kein Rheuma hatte,
sondern die Drückeritis.“ Max Schumann kommt, während er das alles
erzählt immer mehr in Fahrt, singt mir schließlich sogar die
Spottlieder vor, die er während des Dritten Reiches über die Nazis
verfasst hat, singt sie in seinem blauen Schlafanzug vor seinem Bett im
Rollstuhl.
Immer
wieder spricht
„Maxe“ dann auch von seinem Traktor, auf dem ihn ja die Badestädter
noch bis vor kurzem täglich durch die Straßen fahren sahen. Früher ist
er damit auch zu seiner Arbeitsstelle als Geschirrspüler ins Badehotel
gefahren, hat seinen Traktor zwischen den großen Limousinen der
Hotelgäste abgestellt. Und auf den Vorwurf, der alte Trecker störe
zwischen all den Nobelkarossen, hat Max Schumann geantwortet, sein
Traktor gehöre ihm, er sei bezahlt, und es sei fraglich, ob all die
anderen Autos auch bezahlt seien. Auf seinen Traktor will Max Schumann
auch bald wieder klettern. „Und wenn ich das linke Bein für die
Kupplung auch nicht mehr brauchen kann, dann bau ich mir einen
Handhebel dran, soviel Schlosser bin ich noch.“ Wenn Schumanns Maxe
wieder auf seinem Traktor unterwegs ist, dann will er auch endlich ein
Schild vor der Enseschule aufstellen, ein Schild mit ihrem richtigen
Namen, denn diese Schule, so sagt er, muss „Galgenbergschule“ heißen.
Die stehe auf dem Galgenberg und nicht auf der Ense. „Da kommen
‚Fremmede’ nach Bad Wildungen und bringen die alten Gemarkungsnamen
einfach durcheinander, die wir als Kinder noch alle gelernt haben.“
Keinesfalls
will Max Schumann ins Altersheim. Nachdem er dort jetzt auch ein paar
Wochen zugebracht habe, sei er überzeugt, dass dies kein Ort für ihn
sei, er wolle nicht „den ganzen Tag nur rum sitzen und auf das Essen
warten“. Nein, Schumanns Maxe will möglichst bald zurück auf seinen
Traktor und zu seinen Rindviechern, und seine Gewehre, die er seit
Jahrzehnten versteckt hatte und die ihm die Polizei kürzlich
beschlagnahmte, die will er dann auch wieder haben. „Wenn ich auch
nicht schießen will.“ Zum Abschied sagt Schumann: „Seit November bin
ich jetzt hier im Krankenhaus, ich merke mir die Datums gar nicht mehr,
aber jetzt will ich bald hier raus.“ |
Maxe
und sein Traktor:
Jahrzehntelang prägten beide das Stadtbild, früher war der
Beifahrerplatz noch von einem Schäferhund besetzt. Auch die Plastiktüte
ist ein unverwechselbares Erkennungszeichen dieses Gespanns, das
Autofahrer wegen seiner Höchstgeschwindigkeit immer nur als
Verkehrshindernis ansahen. (Foto: ro) |
Waldeckische Landeszeitung (WLZ) vom 24.02.1988
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