Die Tanzschule Müller
Mit dem Walzer fing es an
Frankenberg, 08.03.2006
Im Alter von
zwölf Jahren tanzte er seinen ersten
langsamen Walzer. Im Alter von 70 Jahren hatte er 50000
Schülern und Ehepaaren das Tanzen beigebracht. Heute, an
seinem 80. Geburtstag, blickt der Frankenberger Tanzlehrer Rudolf
Müller entspannt auf sein Leben zurück. Dunkelblaues
Sakko, hellgraue Hose, die Beine leger übereinander geschlagen
- in seinem Haus im Finkenweg sitzt ein Tanzlehrer, der sich gerne
erinnert.
An die Anfangszeiten in Frankenberg zum Beispiel, wohin es den
gebürtigen Niederschlesier nach Kriegsende verschlug. An die
Zeit, als seine Schüler, die aus der Gefangenschaft kamen,
älter waren als der gerade mal 20-jährige Tanzlehrer
Rudolf Müller. An die Zeit, als der Neu-Frankenberger mit dem
Motorrad bei Eis und Schnee zu seinen Tanzstunden in der Region
aufbrach - den Plattenspieler im Rucksack, Schellack-Platten und
Tanzschuhe im Beutel um den Hals.
Denn Müller und sein Kriegskamerad Kunibert Werle hatten in
der Nachkriegszeit mit sicherem Instinkt eine Marktlücke
erkannt: die Lust der Menschen, sich wieder ein bisschen zu
amüsieren. Mit Tanzen zum Beispiel. Müller, der
eigentlich Exportkaufmann werden wollte, konnte die Liebe zum Walzer
mit der Notwendigkeit des Broterwerbs optimal kombinieren. "Unsere
Zukunftsidee" nennt er das heute. 1946 eröffneten die beiden
in Frankenberg ihre Tanzschule, die kulturelle
Maßstäbe setzte im Frankenberger Land.
"Sie sind doch der Herr Müller", wird Scherbel-Rudi, wie er
nach dem Krieg von seinen ersten Fans getauft wurde, auch heute noch
auf der Straße angesprochen. Von ehemaligen
Schülern, die jetzt auch schon in den Sechzigern stehen. Mit
den Großeltern über die Eltern bis hin zu deren
Kindern übte er die richtigen Schritte auf dem Parkett. Auch
Profi-Tanzturniere organisierte Rudolf Müller in den
80er-Jahren, Tanzkurse für Kriegsblinde kamen dazu.
Unterstützt wurde der Tanzlehrer seit 1965 von Ehefrau
Christa. Bis 1996. Da zog sich Rudolf Müller nach 50 Jahren
Walzer und Foxtrott aus dem Geschäft zurück, das
Tochter Julia seitdem weiterführt.
Die Zeiten, als er mit dem Motorrad zu den Tanzkursen kurvte, sind
Geschichte. Aber mobil sind Christa und Rudolf Müller auch
heute noch. Wandern im Aostatal gehört dazu. Und auf dem Hof
des Hauses im Finkenweg - "Hier wohnt die Müller-Gang" steht
auf dem Türschild - wartet der Wohnwagen schon auf seinen
Sommereinsatz. Usedom ist immer wieder das Ziel der Müllers.
Im Morgengrauen bei Sonnenaufgang, wenn die Autobahn leer und der Blick
frei ist, wird gestartet. "Wir fahren so gerne damit",
schwärmt der Geburtstags-Senior.
Und man hört die gleiche Begeisterung heraus, als wenn Rudolf
Müller von der schwebenden Eleganz des Slow-Fox
erzählt. Oder vom langsamen Walzer, den er im Alter von
zwölf Jahren zum ersten Mal tanzte und mit dem eigentlich
alles angefangen hat. Zum Glück für die Region und
ihre Tänzer.